Kritiken: Schubert, WINTERREISE

Ein Meister der Untertöne

ULM (sz) - Franz Schuberts "Winterreise" ist mehr als einfach "ein Liederzyklus". Er ist abendfüllend umfangreich, ein Hauptwerk der Romantik, eine ganze musikalische Welt. für sich, ein "Inselstück" für viele Hörer. Faszinierend war die Interpretation, die nun Daniel Lewis Williams, Bass, und Thomas Hannig, Klavier, im Konzertsaal der Musikschule geboten haben.

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Thomas Hannig und Daniel Lewis Williams
Thomas Hannig und Daniel Lewis Williams

Der Amerikaner Daniel Lewis Williams hat den Geist von Schuberts Musik verinnerlicht, als ob er ein besonders "wienerischer" Bassist wäre: Er vermag es, den tiefen Ernst der 24 Texte Wilhelm Müllers in absolut perfekter Sprachartikulation zu transportieren, ohne die gleichsam romantisch-ironischen Untertöne und Seitenwege zu vernachlässigen. Und indem Williams die janusköpfigen Züge des Werks nicht überzeichnet, was mindere Interpreten für nötig erachten mögen, kann die Deutung wirklich gelingen. Dabei war Thomas Hannig am Flügel bei aller Zurückhaltung stets der notwendige präsente Gegenpart: immer hochmusikalisch, auch die pianistisch brillanteren Momente nicht als Technikdemonstration verkaufend.

Dass die Tempi insgesamt eher verhalten gewählt waren, kam der ungehetzten, unangestrengten Entfaltung von Williams' immens "großer" Stimme zugute. In den Tiefen wie auch im oberen Bereich klingt dieser Bass bruchlos vital. Dabei mag dies sogar beinahe ein Problem (nicht Defizit) sein, da der singende Wanderer - bald schon todgeweiht - eine Straße gehen muss, "die noch keiner ging zurück".

Schon eingangs bei "Gute Nacht" in d-moll überzeugte die dynamisch variierte Gestaltung der vier Strophen mit der Steigerung bei der dritten auf "Was soll ich länger weilen". Vor allem in Wiederholungen setzte der Sanger solche Kontrastbildungen vorteilhaft ein.

Granqios das "piano" dieses Bassisten etwa auf den Worten "Ei Tränen, meine Tränen" im dritten Lied. Bei "Erstarrung" - mit dem nominellen c-moll die häufigste Tonart (neben dem gelegentlich altemativ möglichen d-moll, bei nur neun Dur-Stücken) wirkte das Legato besonders organisch, ohne den Phrasierungen die notwendige Plastizität zu nehmen.

Der Wechsel zwischen dramatischem Angang und Zurücknahme prägte "Rückblick", in zügigem Tempo vorgetragen. Das A-Dur-Lied "Frühlingstraum" vermittelte diese Schubert'sche Aura von abgründiger Tragik hinter vordergründigem Optimismus. Besonders bewegend: "Der greise Kopf" mit Ratlosigkeit am Rande des Irrsinns. Und natürlich "Der Leiermann", ideal in der Tempovariation, in den Pausenwirkungen, in der resignativen Ruhe.

Gunter Buhles, SCHWÄBISCHE ZEITUNG, Ulm

Voluminöse Winterreise

Auch wenn Liederabende nicht hoch im Kurs stehen, stieß Franz Schuberts "Die Winterreise" mit Daniel Lewis Williams und Thomas Hannig auf reges Interesse.

"Die Winterreise" wird bevorzugt von dunklen Stimmen gesungen. Und deshalb hat sie auch der international gefragte Bass Daniel Lewis Williams in seinem Repertoire. Williams ist ein Freund von Thomas Hannig, dem Solorepetitor des Ulmer Theaters. Mit ihm zusammen trat Williams im Konzertsaal der Musikschule Ulm auf und bewältigte den Zyklus mit 24 Liedern und 90 Minuten Dauer problemlos und überzeugend.

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Schon vom ersten Ton an war man fasziniert von der gewaltigen herrlichen Bassstimme, die dennoch biegsam war, ein gutes Piano aufzeigte und geradezu unendlich wirkende Tiefe besitzt. Schuberts "Winterreise" mit ihren düsteren melancholischen Liedern, nur selten aufgehellt, so in "Der Lindenbaum", "Die Post" und "Frühlingstraum", fasziniert in jedem Lied durch die geniale Umsetzung der Wilhelm-Müller-Texte. Auch vom Klavierbegleiter wird hier viel erwartet. Thomas Hannig erfüllte seine Aufgabe ganz hervorragend. Er nahm sich fast immer sehr zurück, war dennoch stets präsent und in Vor- und Nachspielen ein außerordentlich differenziert gestaltender Spieler.

Die maßgeblichen CD-Einspielungen von Schreier, Fischer-Dieskau, Prey oder Hotter im Ohr, musste man sich erst an die super­tiefe Tonart-Basis gewohnen, die mehrfach das tiefe E, einmal sogar das Dis brachte. Im fortschreitenden Zyklus bewies Williams, dass er auch eine fulminante Höhe besitzt, die herrlich aufstrahlte. Die oft kritisierte Akustik im Saal der Musikschule erwies sich bei diesem Liederabend als ausgezeichnet und den Sänger bestens unterstützend. So kam auch das den diffizilen Piano-Einsatz der Stimme erfordernde vorletzte Lied "Die Nebensonnen" zu tief berührender Wirkung. Die große Gestaltungskraft des Sängers wurde dann im Schlusslied "Der Leiermann" nochmals deutlich.

Der Beifall für die Interpreten war begeistert und lang andauernd. Eine Zugabe hätte man gern noch gehört, etwa "Der Wanderer" von Schubert. Das ist aber nach einem so langen Zyklus nicht üblich und auch problematisch. Diese exemplarische "Winterreise" mit dem grandiosen Bassisten Daniel Lewis Williams wird man noch lange in bester Erinnerung behalten.

Carlhans Filius, SÜDWEST PRESSE, Ulm